Leihst du mir deinen Blick?

,,Leihst du mir deinen Blick?" von Valérie Zenatti erzählt einfühlsam die Geschichte der 17-jährigen Tal, welche im jüdischen Teil Jerusalems lebt und mit viel Liebe zum Detail die Welt um sich herum beschreibt. Auf Spaziergängen mit der Kamera ihres Vaters erlebt sie die Schönheit ihrer Heimat, muss jedoch gleichzeitig mit Entsetzen beobachten, wie zerstörerische Anschläge ihre Welt erschüttern.

Obwohl sie es inzwischen gewohnt sein könnte, dass regelmäßig in den Medien über Selbstmordattentate und Todesfälle berichtet wird, ist sie jedes Mal wieder entsetzt und traurig, besonders, als eine Explosion ganz in der Nähe ihres eigenen Zuhauses stattfindet und mehrere Leben kostet.

Sie entscheidet, ihre Gedanken, Ängste, Hoffnungen und Träume in einem Brief zu formulieren, den sie in eine Flasche steckt und ihrem Bruder, welcher als Sanitäter im Gazastreifen tätig ist, mitgibt, damit er sie dort ins Meer wirft.

Als sie nach langem Warten endlich eine Antwort des 20-jährigen Palästinensers ,,Gazaman" per E-mail erhält, beginnt nach und nach ein reger Austausch zwischen den beiden, der geheim gehalten werden muss, da sie verfeindeten Parteien angehören. Die Mails helfen Tal, die Welt aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und zu erkennen, dass die Palästinenser nicht die einzigen Bösen im Konflikt sind.

Durch die aufkeimende Freundschaft zwischen den beiden wird sowohl Tal, als auch ,,Gazaman" klar, dass auch die andere Seite Menschen sind, denen die Lage Leid zufügt.

Mit wunderschönem, detailverliebtem Schreibstil fällt es dem Buch nicht schwer, dem Leser nicht nur ohne oberlehrerhaften Zeigefinger den Konflikt zwischen Israel und Palästina nahe zu bringen, sondern auch, die Welt durch Tals Augen zu zeigen und die Art, auf die sich ihre Sichtweise verändert, als sie nach und nach versteht, dass sich Gut oder Böse nicht so leicht einteilen lässt, wie sie immer geglaubt hat.